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Castro - Graphic Novel / Comic
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von Reinhard Kleist, mit einem Vorwort von Volker Skierka |
280 Seiten, Hardcover, farbig, Deutschland: € 16,90 / Oesterreich: € 17,40 / Schweiz: sFr 30,90, Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2010, Carlsen Verlag, ISBN 978-3-551-78965-5 |
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Marta Feuchtwanger Copyright Volker Skierka
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Ein Don Quijote gegen Dummheit und Gewalt |
Einstündiges Radio-Feature von Volker Skierka für NDR-Kultur aus Anlass des 50. Todestages am 21. Dezember 2008 und des 125. Geburtstages des deutsch-jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger am 7. Juli 2009 sowie ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Literaturexperten Prof. Fritz J. Raddatz.
Der Freund und Weggefährte von Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Arnold Zweig sowie anderen literarischen Zeitgenossen zählte zu den ersten, den die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung Hitlers ausbürgerten. 1933 zog der Verfasser historischer Romane wie „Jud Süß“, „Erfolg“, „Der jüdische Krieg“ und „Goya“ zunächst nach Sanary-sur-mer an der französischen Mittelmeerküste. 1940, nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich, mußte er er unter dramatischen Umständen in die USA fliehen. „Die Dummheit der Menschen ist weit und tief wie das Meer“, schrieb er 1933 in einem Brief an Zweig. Seine Arbeit widmete der linksbürgerliche Romancier dem – vergeblichen - Kampf der Vernunft gegen Dummheit und Gewalt. Volker Skierka, Journalist und Biograf Feuchtwangers, zeichnet dessen Leben anhand von Dokumenten, Interviews und – bislang unveröffentlichter - Tonbandaufnahmen zahlreicher Gespräche nach, die der Autor einst mit Feuchtwangers Witwe Marta und seiner Sekretärinnen Lola Sernau führte.
(Mehr unter Menüpunkten "Publikationen / Lion Feuchtwanger" sowie "Villa Aurora") |
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Konzentrationslager Birkenau (Auschwitz). - Text und Fotos: Volker Skierka
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Weiße Flecken, dunkle Geschichte |
Aus: Der Tagesspiegel, 20. Jan. 2006
80 Jugendliche, Deutsche und Polen, auf der Suche nach der Wahrheit, die die Nazis unterdrückt haben. Versuch einer Versöhnung
Alles ist wie in Watte gebettet. Der Schnee liegt hoch, die Bäume und der doppelte Stacheldrahtzaun sind weiß überpudert. In klirrender Kälte passieren die polnischen Germanistik-Studentinnen Kasia Król und Maria Mrówca das weit geöffnete Tor unter dem Schriftzug „Arbeit macht frei“. Es ist früh am Tag. Man ist allein im ehemaligen Menschen-Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau. Stumm, in sich gekehrt und ziellos gehen die jungen Frauen durch die einsamen Lagerstraßen, stehen in einer der ehemaligen Gefangenen-Unterkünfte plötzlich vor einer 20 Meter langen Glaswand, hinter der zwei Tonnen Menschenhaar liegen. Es konnte wegen der Befreiung des KZs nicht mehr an die Textilindustrie geliefert werden.
Kasia, die große, schlanke Dunkelhaarige, ist 21 Jahre alt, Maria, etwas kleiner und blond, ist 23. Ihre Gesichter sind wie versteinert. Draußen sagt Kasia nur: „Wenn man daran denkt, dass viele der Täter und der Opfer in unserem Alter waren …“ Dann nimmt Maria den Faden auf und sagt: „Ich glaube, es ist wichtig für die Deutschen, dass Menschen anderer Nationen mit ihnen darüber sprechen.“
In dem massiven roten Backsteinbau mit der Nummer 24, wo das Archiv jenes Ortes untergebracht ist, haben Kasia und Maria mit drei Kommilitoninnen und einem Kommilitonen von der Universität des 60 Kilometer entfernten Krakau mit einem einzigartigen deutsch-polnischen Geschichtsprojekt begonnen.
Die Studenten forschten nach Lücken und Manipulationen in der seit dem Überfall Hitlers auf Polen 1939 gleichgeschalteten Lokalpresse. Diese „weißen Flecken“ in der offiziellen Berichterstattung, versuchten die Studenten 60 Jahre nach Kriegsende mit Wahrheiten zu füllen. „Hunderte von dicken Bänden, Tagebücher und Dokumente, liegen hier“, sagen sie. „Wir haben einfach einige herausgegriffen, darin geblättert und gelesen. Das war der Anfang.“
Herausgekommen ist dabei aber nicht eine neue Arbeit über den Massenmord von Auschwitz, sondern eine Untersuchung über ein nahezu unbekanntes Thema – über den damals weitverzweigten und oft tödlichen Widerstand der gut organisierten polnischen Pfadfinderbewegung und deren Untergrundpresse im Raum Krakau...
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TEXT |
Verdammt in der Hölle des Silberbergs |
Bolivien |
Verdammt in der Hölle des Silberbergs |
An der Quelle eines Reichtums, der Millionen Menschenleben gekostet hat |
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In den Minen von Potosí, welche die spanischen Eroberer rücksichtslos ausgebeutet haben, schürfen Indios seit Jahrhunderten unter mörderischen Bedingungen.
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© Volker Skierka |
Süddeutsche Zeitung Nr. 44, Seite 3, 22. Februar 1992 |
Potosí, Mitte Februar - Freitags verlangt der Teufel sein Opfer. In sternenklarer Nacht brechen wir im bolivianischen Hochland auf, ihm Tribut zu zollen. Der Eingang ins Innere des Berges liegt in 4500 Metern Höhe, die Luft ist dünn und eisig. Das trübe Licht einer Karbidfunzel beleuchtet den beschwerlichen, matschigen Weg in den Stollen. Bald geht es fast nur noch in tiefgebückter Haltung voran. Oft knallt der Schutzhelm gegen vorspringenden Fels oder angebrochene Stützbalken aus morschem Eukalyptusholz, die mit schwindender Kraft tonnenschweres Geröll stemmen. Nach gut tausend Metern Fußweg verwandelt sich die eben noch feuchte Kälte schlagartig in trockene, von Schwefeldämpfen, beißenden Arsengasen und anderen Ausdünstungen des Berges durchmischte Hitze, die den Gaumen mit bitterem Geschmack belegt. ''Das ist sein Reich'', keucht Eduardo, der Führer, als wir erschöpft und kurzatmig in einen niedrigen Hohlraum kriechen, wo wir dem Teufel plötzlich gegenübersitzen: Er hockt in einer Felsnische mit toten Augen, spitzen Ohren, kleinen Hörnern und einem aufgeklappten, breit grinsenden Maul. Der ''Herr der Unterwelt'' ist nackt und feist, erdfarben, mit Papierschlangen behängt und so groß wie ein dreijähriges Kind.
Ritual aus Inka-Zeiten
''Tio'', Onkel, nennen die ''Mineros'', die Bergleute, die wir in der Höhle antreffen, ehrfürchtig die Figur aus Ton. ''El tio'' hat eine große Verwandtschaft. Es gibt Hunderte seinesgleichen im Berg, in jeder Mine, jedem Stollen mindestens einen und in den phantastischsten Ausfertigungen. Wir haben die ''Opfergaben'' mitgebracht, von denen man in den nächsten Stunden zehren und an denen man sich berauschen wird: Cujunas, schwarze Zigaretten ohne Filter, ein paar Pfund Kokablätter und 96prozentigen Zuckerrohrschnaps, der mit Wasser verdünnt wird. Das aus Inkazeiten überlieferte, heidnische Opferritual, das in der Indiosprache Quechua ''La cha'lla'' heißt, besteht darin, daß ''El tio'' immer wieder von allem etwas abbekommt - eine Zigarette zwischen die Zahnlücken, Schnaps in die vorgeschobene Kinnlade und frische Kokablätter in den bunten Stoffbeutel vor der Brust. Und vor jedem Schluck, den die Mineros zu sich nehmen, wird gleichfalls nach dem Brauch etwas von dem Fusel auf den Boden geschüttet und so der ''Pachamama'', der Mutter Erde, geopfert, die hier bei den Hochlandbewohnern, die eine Mischung aus Heidentum und Christentum praktizieren, höher im Kurs steht als Jesus Christus.
''El tio soll uns vor Bergunfällen bewahren und uns mit ,pachamama’ Glück bringen: mehr und bessere Silberadern''; sagt Julio, mit 45 Jahren der Älteste in' der Runde und deshalb von den anderen ''Maestro'' genannt. Vor schweren Unglücken hat ''el tio'' ihn bewahrt - wenn es denn nicht Unglück genug ist, daß der Berg ihm nun schon sein Leben lang das große Glück verweigert, ihm eine Silberader, eine Veta, zu schenken. Nie hat el tio ihn dafür belohnt, daß er sich nun schon seit seinem elften Lebensjahr, also 34 Jahre lang, mit Hammer, Meißel, Spitzhacke und Dynamitladungen durch die finsterste aller Finsternisse rackert, gegen Hunger, Durst, Verzweiflung und die chronisch schlechten Weltmarktpreis für Silber und Zinn ankämpfend, in der Hoffnung, doch noch eines Tages den großen Schatz zu entdecken. Statt dessen verdienen er und seine etwa 12 000 Kollegen, die in knapp 30 Kooperativen zusammengeschlossen sind und auf eigene Rechnung arbeiten, wenn es hoch kommt, kaum mehr als 30 Mark pro Woche.
''Die dicksten Adern sind längst ausgebeutet, aber man sagt, es gibt immer noch genug gutes Silber im Berg'', murmelt Julio mit schwerer Zunge. Er ist vom Schnaps, der stickigen Luft - und dem unermüdlichen Kauen eines die Backen blähenden Bällchens von Kokablättern benebelt. Kokablätter, etwa 300 Gramm pro Tag, sind das Wundermittel, das ihm und seinen Kameraden hilft, ihr Schicksal auszuhalten. ''Koka gibt Zuversicht, Kraft und Energie, vertreibt Hunger, Müdigkeit, triste Gedanken - und vor allem das Zeitgefühl'', sagt Eduardo, der Bergführer. Und: Koka vertreibt die Gedanken an den Tod. Das harte Leben läßt die Bergleute hier oben schnell altern. Sie sterben jung. Ihre Lebenserwartung liegt bei 42 bis 45 Jahren. Julio, Vater von sechs Kindern, ist somit längst Todeskandidat. Er sieht aus wie 60, wirkt ausgezehrt und sein verdächtiges kurzes Hüsteln zeigt an, daß auch er sich die ''mal de mina'', die Minenkrankheit, die Staublunge geholt hat.
Der Berg. Die Indianer nannten ihn ehrfurchtsvoll ''Sumac Orcko'', Schöner Berg, bis die Spanier kamen und vom 1. April 1545 an den unermeßlichen Reichtum an Silber auszubeuten begannen. Seither heißt er offiziell ''Cerro Rico'': Reicher Berg. Einst von kleinen knorrigen Bäumen, ''Kiwinas'', sowie Büschen und Dornensträuchern bewachsen, ragt er heute, 4890 Meter hoch, kahl und kegelförmig aus dem Hochplateau in den Himmel. Die Indios sagen, seine rotbraune Farbe komme von dem an die Oberfläche gesickerten Blut der indianischen Zwangsarbeiter, die über die Jahrhunderte bei der Arbeit in den Minen elend zugrunde gegangen sind. Bei den Indios heißt der ''Cerro Rico'' deshalb auf aymarisch auch ''Wuila Ckollo'', Berg des Blutes. Es gibt keine verläßlichen Quellen für die Zahl der Todesopfer, die der Berg gefordert hat. Manche Schätzungen sprechen jedoch von fünf Millionen.
Nach der Legende entdeckte der Indio Diego Huallpa das Silber. Auf der Suche nach einem verirrten Lama wurde er auf dem Berg von der Nacht überrascht; sein Lagerfeuer schmolz zufällig einen offenliegenden Edelmetallstrang an. Nachdem er das eine Weile gehütete Geheimnis seinem Herrn, dem Spanier Diego de Villarroel, verraten hatte, gab es kein Halten mehr. Das spanische Imperium des Habsburger Kaisers Karl V. griff zu, und der ''Cerro Rico'' wurde zu einem Symbol der gierigen und rücksichtslosen Eroberung der Neuen Welt. Der Goldrausch der ersten Conquistadores war nichts gegen den nun einsetzenden Silberrausch. Es setzte, so ein Chronist, ''eine chaotische und tumultartige Besiedlung'' dieser kargen und unwirtlichen Gegend ein, die über 2000 Kilometer von Lima entfernt lag, der Hauptstadt des damaligen spanischen Vizekönigreiches Peru.
Am Fuße des ''Cerro Rico'' entstand aus dem Nichts die Stadt Potosí, deren Quechua-Name soviel bedeutet wie ''Der (Berg), der birst''. Schon 30 Jahre nach der Gründung zählte Potosí mehr als 120 000 Einwohner und um 1650 waren es zwischen 160 000 und 200 000. Damit war es nicht nur die größte Stadt der damals bekannten Welt, größer noch als London, Sevilla und Paris, sondern es war lange auch eine der wichtigsten, reichsten und teuersten. Karl V. verlieh ihr den Rang ''Villa Imperial'', einer kaiserlichen Stadt.
''König der Hügel''
Die Spanier beteten den Berg geradezu an. Wie ein Vaterunser liest sich die. Hymne, die der Biograph Potosís, Bartolome Arzans de Orzua y Vela, Anfang des 18. Jahrhunderts auf den Cerro Rico schrieb: ''Berühmter, auf ewig größter, reicher und unerschöpflicher Berg von Potosí; beispiellose Schöpfung durch Gottes Wille; einzigartiges Wunder der Natur; perfekte und dauerhafte Herrlichkeit der Welt; Freude der Sterblichen, Kaiser der Berge, König der Hügel, Fürst aller Minerale; Herr der Indios, die seine Schätze bergen; . . . Anziehungspunkt des Menschen; Magnet seiner Begehrlichkeiten; Grundlage aller Schätze; Schmuck der heiligen Tempel; Münze, mit der man den Himmel kauft; Ungeheuer des Reichtums; Leib der Erde und Seele des Silbers...'' So märchenhaft war der Reichtum, daß 1658 nach den Chroniken bei einem Kirchenfest die Pflastersteine ganzer Straßenzüge durch Silberbarren ersetzt wurden. Die unzähligen Gotteshäuser verwandelten sich in Götzentempel des Silbers, und jene Herren, die das Sagen hatten in der Stadt, gingen ''in Gold- und Silberstoffen, denn alles andere ist ihnen nicht gut genug''. Die erste große Silberladung ins spanische Mutterland mit dem ''Fünften für die Krone'' verließ Potosí im Juli 1549. Eine endlose Karawane von 2000 Lamas transportierte, begleitet von tausend Indios, knapp 8000 Silberbarren im Wert von umgerechnet 20 Millionen Mark nach Lima, wo man Monate später eintraf. Zweimal jährlich segelten fortan von dort, später von Arica in Nordchile, zwischen 20 und 60 Frachtschiffe Richtung Spanien, schwer beladen mit Silber und begleitet von Kriegsschiffen. Schon im 17. Jahrhundert rechnete der Historiker Antonio de Leon Pinelo aus, daß man mit dem bis dahin geförderten Silber vom Gipfel des Cerro Rico eine Brücke übers Meer bis zum Portal des königlichen Palastes in Sevilla hätte bauen können: 10 000 Kilometer lang, 14 Ellen breit und vier Daumen dick. Das war soviel, daß es dreimal die damaligen Währungsreserven Europas übertraf. Die Hälfte des in der Welt produzierten Silbers kam seinerzeit aus Potosí.
Auch andere europäische Länder ließen ihre Münzen in der Casa de la Moneda von Potosí prägen. Die Arbeit an den Schmelzöfen besorgten 6000 aus Afrika verschleppte, im Dachstuhl der Münze zusammengepferchte Negersklaven. ''Das ist einen Potosí wert'', galt als höchster Maßstab. Doch wie gewonnen, so zerronnen: Mit dem Gewinn aus dem Cerro Rico und aus den Silberminen in Mexiko bezahlte Spanien seine Schulden und löste seine Hypotheken bei den Bankhäusern der Welser, Fugger und Grimaldi ab. Das meiste verschlangen schließlich die kostspieligen Glaubenskämpfe und Kriege des Hauses Habsburg gegen den Rest der Welt. 1588 versenkte England die spanische Armada, eine der größten Rüstungsinvestitionen des Reiches. Und während das Spanien Karls V., seines Sohnes Philipp II. und deren Nachfolger allmählich wirtschaftlich ausblutete, bildete der Silberstrom aus dem Cerro Rico von Potosí nach dem Dreißigjährigen Krieg den Grundstock für den europäischen Frühkapitalismus. In den knapp drei Jahrhunderten bis zur Loslösung der überseeischen Kolonien von Spanien wurden nach zurückhaltenden Berechnungen etwa 46 Millionen Kilogramm Silber aus dem Berg gebrochen, gekratzt und geschmolzen.
''Es gäbe keinen Reichtum ohne die Minen und es gäbe keine Minen ohne die Indios'', lautete die saloppe Feststellung des Marques de Castelfuerte, die zur gängigen Redensart jener Zeit wurde. Der als einer der wenigen Statthalter der Krone von seinem Gewissen geplagte peruanische Vizekönig Graf von Lemus mahnte Mitte des 17. Jahrhunderts indessen seinen Monarchen: ''Es ist kein Silber, das man nach Spanien bringt, sondern der Schweiß und das Blut der Indios.'' Ein zeitgenössischer Chronist schrieb:'' In den Gesteinsmühlen von Potosí wurden mehr Indios als Metall gemahlen, und jeder Silberpeso, der geprägt wird, kostet zehn tote Indios in den Kavernen des Berges.'' Zum Abbau der Silbererze bedienten sich die Spanier eines Systems von Zwangsarbeit aus der Inka-Zeit - jedoch ohne die sozialen Verpflichtungen. Die umliegenden 16 Hochlandprovinzen mußten jährlich ein Siebtel ihrer männlichen Bevölkerung für ein Jahr zur Arbeit in den Minen abstellen. Mit Sack und Pack, Familie und Haustieren machten sich die ''Mitayos'' auf den Weg. Die heute einsamen Straßen waren stets so voll, ''als ob das Reich umzöge''.
Das System war so grausam, daß Familien geschlossen Selbstmord begingen und die Bevölkerung ganzer Dörfer aus Angst vor der Mita flüchtete. 244 Jahre lang mußten die Mitayos die Arbeitswoche über Tag und Nacht im Berg bleiben und - von Schlafpausen abgesehen - im Schein von Kerzen aus Lamafett giftige Gase und Dämpfe einatmen, aufgeputscht durch Kokablätter und angetrieben von Peitschenhieben mit primitivsten Werkzeugen im Akkord das Edelmetall aus dem Fels brechen. Ihr Arbeitslohn war so gering, daß sie sich, um ihre Familien durchzubringen, bei ihren Herren verschulden mußten und damit in lebenslängliche Abhängigkeit gerieten.
Die Nachfahren der Mitayos leben und arbeiten heute unter kaum besseren Bedingungen - nur freiwillig. ''Es gibt keine andere Arbeit als die Mine'', sagt Julio. Die Landwirtschaft bringt noch weniger ein und Industrie gibt es nur in der 600 Kilometer nordwestlich gelegenen bolivianischen Hauptstadt La Paz oder in Chochabamba. Dort stehen übrigens auch Laboratorien, in denen Kokainpaste hergestellt wird. Der 21jährige Florentino war zwei Monate dabei. Da hat er zehnmal soviel am Tag verdient wie im Berg. ''Doch dann war die Polizei hinter uns her.'' Er kehrte in den Cerro Rico zurück, zu seinem Vater und seinem zwölfjährigen Bruder in den Stollen ''Caracol''. In der obersten Ecke einer natürlichen Höhle von der Größe eines Kirchenschiffs hat er eine kleine Silberader minderer Qualität entdeckt. Aber besser als nichts. Sie bringt 40 Mark pro Woche ein. Mit einem Hammer und einem langen Meißel treibt er Sprenglöcher in das Gestein. Moderne Arbeitsgeräte wie Steinbohrer oder Preßlufthämmer gibt es nicht.
''Die Cooperativas haben kein Kapital und keinen Kredit und arbeiten daher fast alle wie zu Inkas Zeiten. Völlig unrentabel'', sagt Eduardo, der Führer, dessen Vater beim Einsturz eines Stollens hier in der Mine ''Caracol'' erschlagen wurde, als Eduardo sieben Jahre alt war. Die Arbeit ist heute so gefährlich wie eh und je. Die beste Sicherheitsvorkehrung ist die Erfahrung. Ohne genügende Stützen, ohne Entlüftungsschächte und planlos werden die Stollen und schmalen Schächte kreuz und quer, vertikal und horizontal in den Fels getrieben, den Zinn-, Zink- und Silberminen hinterher. ''Der Berg'', sagt Eduardo, ''ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse.'' 5000 Gänge wurden in 450 Jahren gegraben.
Sparen für den Sarg
Immer wieder sind dumpfe Explosionen zu vernehmen, erzittert der Boden und füllen sich die Gänge mit dem Geruch verbrannten Pulvers. Aus den unteren Galerien, der zweiten, dritten, vierten Ebene, steigen unermüdlich Mineros mit 40 Kilogramm schweren Säcken voller Mineralgestein auf den krummen Rücken hinauf in den Hauptstollen. Schweigsame, schwitzende Männer mit ausdruckslosen Gesichtern, denen der dunkelbraune Saft der gekauten Kokablätter aus dem Mund rinnt. Ohne Mundschutz, weil der beim Kauen hindert, atmen sie gleichgültig den tödlichen feinen Staub und die Gase ein. Auf ihren Lohnstreifen ist als letzte Position unter den Abzügen eine einprozentige ''Quota Mortuoria'' eingetragen: ''Die ist für den Sarg'', sagt Eduardo.
Aber hier sterben nicht nur die Männer früh. Nach Angaben des Direktors des medizinischen Versorgungsdienstes der Provinz, Carlos Pacheco, hat Potosí ''die höchste Kindersterblichkeit der Welt'': 17 Prozent. Die Hauptursache ist Unterernährung. Doch die Trauer über den frühen Tod der Kinder hält sich in Grenzen. Man hat Mühe genug, die anderen durchzubringen. Und wenn die Männer eines Tages nicht mehr sind, müssen sich die Familien allein durchschlagen. An den Abhängen des Cerro Rico wimmelt es von Witwen und Waisen, die als ''Pailliris'' die Abraumhalden der Minen durchwühlen. Während sie für einen Tageslohn von ein, zwei Mark mit Hammer, Meißel und Pickel wie schon vor 400 Jahren die Steine nach letzten Resten verwertbaren Minerals abklopfen, donnern schwere Lastwagen an ihnen vorüber, die nach und nach die vielen hunderttausend Tonnen Abraum abtransportieren. Sie fahren in das weit außerhalb liegende Mahlwerk der Firma ''ComSur'', die dem neuen Silberbaron Gonzalo Sanchez de Losada gehört.
''Goni'', der gern Präsident von Bolivien werden möchte und es bei den letzten Wahlen fast geschafft hätte, ist bei den Mineros beliebt, weil er einer der wenigen ist, die ihnen ihre Mineralien abkaufen. Doch das ist eher ein Almosen. Sein Geschäft macht ''Goni'' mit dem, was liegengeblieben ist. Mit deutschem Millionenkredit und modernster Technik wird der Abraum pulverisiert. Danach wird in einem hochspezialisierten Verfahren mit einer Wasser-Zyanid-Lösung das Rest-Silber herausgezogen: 200 Gramm pro Tonne. Nach einem Rundgang durch die Anlage öffnet der Werksleiter den gewaltigen Tresor und zeigt stolz vor, was die Fabrik mit nur 70 Mann Monat für Monat gewinnt und wovon die Mineros träumen: drei Tonnen zu Barren gegossenen reinsten Silbers.
In den Minen selbst arbeitet Gonis ComSur nicht. Das ist zu teuer. ''Um rentabel zu arbeiten, müßten wir im Tagebau den ganzen Cerro Rico abtragen'', sagt der ComSur-Statthalter in Potosí, Carlos Velasquez, der gleich einschränkend darauf hinweist, daß das natürlich nicht möglich sei, weil es eine soziale Katastrophe für Potosí und die Mineros bedeuten würde, die dann vollends überflüssig wären, und weil der Berg von den Vereinten Nationen zum unantastbaren historischen Monument, zum ''kulturellen Erbe der Menschheit'' erhoben worden sei. Doch für wie lange hält dieser Schutz? Beharrlich lassen Minengesellschaften ihr Interesse durchblicken. Kein Wunder: ''Der Berg'', so der Bergbauingenieur Velasquez, ''ist nämlich erst zu etwa 10 bis 20 Prozent ausgebeutet. Er ist immer noch voller Silber, Zinn und anderer Mineralien. Das reicht für weitere 450 Jahre.''
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